#unibrennt oder wie Twitter nach Österreich kam und die Ideologie der Horizontalität

Dieser Post ist Teil der Serie unibrennt wird 5 — Ein Rückblick in 4 Teilen

In der Bewegungsforschung spricht man im Allgemeinen von einem neuen Bewegungszyklus (Brunnengräber), der nach den ehemals neuen sozialen Bewegungen der 70er und 80er155312763-61cc248ff8cb7c0a1ec7d309914c1d5c-4c7f7ca8-scaled Jahre und der Alter-Globalisierungsbewegung der 00er Jahre mit 2009 beginnt. Dabei stellt 2009 nicht nur wegen unibrennt und der gesamteuropäischen Studierendenbewegung den Beginn dar, sondern vor allem auch wegen der so genannten Grünen Revolution im Sommer 2009 im Iran. Teil dieses neuen Zykluses sind dabei selbstverständlich die Bewegungen der ARebellion, die Indignados, Occupy, Diren-gezi, die Boycott-Fifa-Bewegung in Brasilien und viele andere. 

Das was alle diese Bewegungen zum Teil eines neuen Zykluses macht, sind ihre ähnlichen Methoden und Strategien: Die Besetzung eines zentralen öffentlichen Ortes, die Forderung nach Demokratisierung, die Verweigerung von Repräsentation, die Anerkennung der eigenen Heterogenität und die intensive Verwendung neuer Kommunikationstechnologien, um nur einige der Merkmale zu nennen.
Es ist die Zugehörigkeit zu diesem Bewegungszyklus, zu dieser neuen Architektur des Protests, die unibrennt auch über die Angehörigkeit des International Student Movements hinaus zu einer internationalen Bewegung macht. Auf einige dieser Aspekte habe ich im Laufe dieser Serie schon hingewiesen, hier möchte ich mich nun etwas näher mit dem Einsatz von Social Media beschäftigen.

#unibrennt

Die sozialen Medien spielten bei unibrennt von der ersten Minute an eine zentrale Rolle, nicht nur weil der Name unibrennt vor allem als Twitterhashtag fungierte.4092380651_be382638de_o Von der ersten provisorischen Homepage, zu einer immer professionelleren Pressegruppe, die alle Medien, seien es herkömmliche oder auch ganz neue und in Österreich größtenteils unbekannte, beherrschte. Es wurden Flugblätter gedruckt, aber auch eine eigene Zeitung verlegt, es gab Blogposts, eigene Wikis, Twitter, eine Facebook- und damals sogar noch eine Studi-VZ Gruppe. Es gab die Homepage, ein Pressetelefon, einen analogen Infotisch, Skypekonferenzen, einen Dauer-Livestream, eine Ag-Doku um Film- und Fotomaterial anzufertigen, es gab Kunstaktionen und Konzerte. Unibrennt war von Beginn bis weit über die Zeit der Besetzung und letztlich auch der Bewegung hinaus ein medialer Protest, in seiner ganzen Bedeutungsvielfalt. Das alles war jedoch nie ein Selbstzweck sondern diente stets der Unterstützung des Kerns von unibrennt, nämlich der Besetzung und damit des Offenhaltens eines Kommunikations- und Diskussionsraums, der weitestgehend selbstverwaltet ist.

Die Möglichkeit die Kommunikation im Raum auch über das Internet auf den verschiedensten Kanälen fortzuführen war eine wichtige und prägende. Hatte die Universität versucht das Uni-Netz abzudrehen, gab es innerhalb von wenigen Minuten eine stabilere und schnellere offene W‑Lan-Leitung. Von ProgrammierInnen und TechnikerInnen über angehende JournalistInnen bis hin zu all jenen die zum ersten Mal mit all dem in diesem Ausmaß in Berührung kamen, war die Medienbenutzung vielfältig und unibrennt für viele, nicht zuletzt auch für mich, eine Lehrstube, in der die Twitterbenützung wie das Kochen für riesige Menschenmengen, das Diskutieren, das Zusammenarbeiten, reden und leben mit sozial benachteiligten Menschen und nicht zuletzt auch neue Vorstellungen von Demokratie erlernt und erprobt wurden. 

Der euphorische Einsatzbereitschaft wie die interdisziplinäre Vielfalt schafften es nicht nur Twitter in Österreich erstmals einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen, sondern auch weit über die Grenzen von Österreich hinaus Kontakte zu knüpfen und unibrennt4118605478_944ef83244_z zu vernetzen. (Erhebend sind bis heute die Soli-Meldungen aus aller Welt, wie diese aus Istanbul.) Die Internationalisierung unserer Bewegung wurde durch diese Kommunikationstechnologien um ein vielfaches einfacher, und auch das Ankämpfen gegen den österreichischen Medienmainstream wurde durch die Schaffung verschiedenster eigener Kanäle, Bilder und Narrative möglich.

Unvergessen sind die Momente als die Vokü oder sonstige Gruppen alles was sie brauchten aber nicht hatten über unsere Kanäle erfragten und oftmals innerhalb von Minuten das Erwünschte bekamen. Definitiv wäre unibrennt nicht zu dem geworden was es wurde ohne diese neuen Technologien, was nicht bedeutet dass es nur durch diese Technologien zu dem wurde was es war, schließlich eignet sich jede Soziale Bewegung stets die Medien und Techniken seiner/ihrer Zeit an.

Arsbrennt

Die Vorreiterrolle von unibrennt in der professionellen Verwendung neuer Medien für den politischen Kampf gleichermaßen wie für die Bildung der eigenen Identität wurde auch von dem international renommierten Festival für digitale Kunst und Kultur, Ars Electronica, erkannt, und so bekam unibrennt 2010 einen Preis. unibrennt gestaltete daraufhin einen eigenen Ausstellungsraum und versuchte in verschiedensten Projekten, die eigene Beziehung zur Digitalität aufzuarbeiten. Näheres zu den Ereignissen auf der Ars Electronica gibt’s hier nachzulesen.
Die wohl passendste Beschreibung dieses komplexen und wechselseitigen Verhältnisses von analogen und digitalen elementen der Bewegung liefert die Projektbeschreibung die bei der Ars Electronica eingereicht wurde und von einigen AktivistInnen selbst verfasst wurde, nachzulesen hier:

Unibrennt ist keine web2.0‑Bewegung, kein Protest2.0. Genauso wenig ist unibrennt eine politische Organisation klassischer Facon, die das Potential des Netzes besonders geschickt für die Anliegen zu nutzen weiß. Vielmehr greift alles ineinander: politische Diskussion, digitales Arbeiten und die Selbstverwaltung der Bewegung.
Die Akteure der Bewegung lassen sich nicht trennen in die BesetzerInnen der Hörsäle auf der einen, und in eine als ‚digital community‘ arbeitende Gruppe auf der anderen Seite. Zu jedem Zeitpunkt ist die Bewegung ebenso ‚digital community‘ wie sie politische Bewegung ist, autonom und selbstverwaltet funktioniert, basisdemokratische Regeln lebt, offen und divers arbeitet.
Die Bewegung ist in diesem Sinne so offen und allgegenwärtig — ubiquitous — wie das WWW selbst. Die ‚digital community‘ sorgt so nicht nur für die Allgegenwart des Anliegens „Freie Bildung!“ sondern lebt auch vor, was unter freier Bildung verstanden werden könnte.

Soft Leadership

So4052778649_8cf5ff241b_z sehr die sozialen Medien dabei helfen zu kommunizieren ohne Stellvertretungen zu wählen sowie auch die internen Prozesse zu koordinieren, darf nicht über die Gefahr der sozialen Medien in Protestbewegungen hinweggesehen werden. Gerne wird die Selbstwahrnehmung einer horizontal organisierten Bewegung durch den Verweis auf die sozialen Medien gestützt. Doch auch wenn es keine offenen Hierarchien gibt, und viele der Kanäle formal für alle offen stehen, gibt es immer informelle Hierarchien. Am einfachsten zu sehen an der speziellen Rolle derer, die Zugang zu den „offiziellen“ Bewegungskanälen haben, meist eine kleinere aber sehr engagierte Gruppe, die damit auch viel der medialen Außenwirkungen kontrollieren kann. 

Paolo Gerbaudo spricht in seiner umfangreichen und theoretisch informierten Studie: „Tweets and the Streets. „Social Media and Contemporary Activism“ daher von einem „soft leadership“, einer gewissen schwachen Machtkonzentration in den Händen derer die über die sozialen Medienkanäle verfügen können gegenüber denen die dies nicht direkt können. Es erscheint mir wichtig sich dieser Probleme stets bewusst zu sein, sie intern auch zu thematisieren (wie es bei unibrennt auch öfters getan wurde) und diese neuen Technologien deshalb jedoch nicht zu meiden sondern um so bewusster einzusetzen.

The revolution will (not) be twittered

Twitter- und Facebook-Revolutionen werden nur von Mainstreammedien ausgerufen, um spätestens beim Scheitern auf die Notwendigkeit ihres eigenen Geschäftsmodells als Massenmedium hinweisen zu können, dennoch spielen soziale Medien in den aktuellen Bewegungen eine zentrale Rolle, die weit über solche plumpen Schlagwörter hinausgeht. So dienen diese vielfältigen Meiden vor allem dazu um einerseits die Vielfältigkeit und Heterogenität der Positionen und Standpunkte innerhalb der Bewegung aufzuzeigen und damit trotzdem ein Gegennarrativ zu Mainstreamanalysen zu bilden, andererseits dienen die Medien natürlich auch der Dokumentation, von Polizeirepression und der Verbreitung der Bewegung in alle Welt wie letztendlich auch der digitalen Archivierung dieser Bewegung. Dabei unterstützen die Medien die Bewegung, aber immer braucht es auch die Körper auf der Straße und in den besetzten Plätzen, Twitter alleine wird nie genügen. Überbleiben tut dabei meist ein großes ungeordnetes Medienarchiv, ein Medienarchiv eben, dass stets ähnlich vielfältig ist wie die Bewegung selbst.

Inhalt

Einleitung

Prolog: 5 Jahre unibrennt — Kein Grund zu feiern

und wir scheitern immer besser … unibrennt eine basisdemokratische Bewegung von Vielen

Die Folgen von unibrennt sind auch Erfolge

0 0 votes
Article Rating
Dieser Beitrag wurde in Soziale Bewegungen veröffentlicht und getaggt , , , , , , , . Ein Lesezeichen auf das Permalink. setzen. Kommentieren oder einen Trackback hinterlassen: Trackback-URL.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

4 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
trackback

[…] #unibrennt. wie Twitter nach Österreich kam und die Ideologie der Horizontalität […]

trackback

[…] wir scheitern immer besser … unibrennt eine basisdemokratische Bewegung von Vielen #unibrennt. wie Twitter nach Österreich kam und die Ideologie der Horizontalität Die Folgen von unibrennt sind auch […]

trackback

[…] « Prolog: 5 Jahre unibrennt — Kein Grund zu feiern #unibrennt oder wie Twitter nach Österreich kam und die Ideologie der Horizontalität » […]

Andreas Kirchner
9 Jahre zuvor

Hallo Christoph.
Danke für deinen ausführlichen Rückblick und die Aufarbeitung. Mit etwas Verzögerung, die wohl so lange gedauert hat wie die Besetzung selbst, habe ich mich auch versucht, und die Geschehnisse und Folgen aus meiner solidarischen aber weniger stark involvierten Perspektive verarbeitet. Dabei habe ich mich an einigen Stellen auf deine Überlegungen bezogen ‑teils kritisch, teils affirmativ oder neu erzählend 🙂 http://phaidon.philo.at/qu/?p=1497

Vielleicht startet damit eine Diskussion.
Schöne Zeit,
Andreas

4
0
Would love your thoughts, please comment.x