Die Häuser denen, die drin wohnen!’ — Über die Notwedigkeit des Kampfes um die Stadt

Wer in den letzten Wochen und Monaten ebenfalls den Eindruck gewonnen hat, dass sich die Sonder‑, Zu- und Einzelfälle in demnächst zu renovierenden alten Mietshäusern, die bald in neuem luxusausgestatteten und vor allem von lästigen AltmieterInnen befreiten Zustand “erstrahlen” unbewohnt aber doch spekulativ gehandelt, häufen, der hat dieses Gefühl nicht zu unrecht. Wöchentlich gibt es neue Berichte der mysteriöse Todesfall eines “lästigen” Altmieters, ist hier nur der neueste in einer langen Reihe. Wasserschäden, Lärm, Terror und Belästigungen verschiedenster Art sind nicht neu, schon im österreichischen Film “Ameisenstraße” von Glawogger aus 1995 wurden diese gängigen Praktiken neuer EigentümerInnen dargestellt, trotzdem häufen sich die Berichte zusehends. 

Gentrifizierung

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Doch haben sich die zumindest problematischen, oft mysteriösen jedoch immer öfters offen verbrecherischen Methoden der Gentrifizierung nicht einfach nur verstärkt,

warum es uns gehäuft vorkommt liegt vor allem daran, dass die Medien und zunehmend auch die Politik mehr Augenmerk auf die schon seit langem herrschenden Zustände am “freien” Wohnungsmarkt werfen. Wie so oft, ist der Grund der erhöhten Aufmerksamkeit jedoch nicht die hohe Anzahl an Leerständen bei der steigenden Anzahl an Delogierungen und Obdachlosen und auch nicht die Tatsache, dass die Mieten in den letzten Jahren vor allem aber nicht nur in Wien rasant und nahezu ungebremst gestiegen sind, und Wohnen immer mehr Teile des Einkommens verschlingt und in weiterer Folge zu Armutsgefährdung, Energiearmut usw. führt. Diese Entwicklungen sind allgemein bekannt wurden aber von Politik wie auch von vielen Medien lange ignoriert. Der Grund für die erhöhte Aufmerksamkeit ist vielmehr dass MieterInnen, Initiativen, NGOs und AktivistInnen in Demonstrationen, wissenschaftlichen Publikationen, Studien und aktiven Kämpfen und Bewegungen unermüdlich auf diese Missstände hingewiesen haben, Vorfälle dokumentiert haben und sich die Freiheit genommen haben sich aktiv gegen diese Praktiken zur Wehr zu setzen. Dies ist nicht nur ein österreichisches Phänomen, sondern ein globales. 

Der Kampf um die Stadt, wie es Henri Lefebvre schon in den 60er Jahren formulierte ist heute präsenter denn je. Von den Bewegungen gegen die Delogierungen in Spanien, über den Kampf für besetzte, autonom verwaltete Räume, zu den Protesten gegen Großprojekte, die nicht nur zur Intensivierung der Überwachung sondern vor allem zur autoritären “Neugestaltung” ganzer Stadtteile genutzt werden sowie Parks und ehemalige öffentliche Plätze teilprivatisieren, steigt der Widerstand gegen die Gentrifizierung und Privatisierung unserer Städte.

Pizzabrot statt Wohnungsnot”

In Wien hat vor allem die jahrelange Besetzung eines Hauses in der Mühlfeldgasse, die Pizzeria Anarchia, aktiv auf die Praktiken bei der Verdrängung unerwünschter AltmieterInnen hingewiesen und dabei den Kampf um das konkrete Haus stets in einen breiteren Kontext gestellt. Gelockt mit einem befristeten freien Mietvertrag wurden die späteren BesetzerInnen sebst gerufen um AltmieterInnen zu vertreiben, doch wie allgemein bekannt, ging der Schuss nach hinten los. In Solidarität mit den terrorisierten AltmieterInnen besetzen die AktivistInnen das Haus. Spätestens seit der skandalösen Räumung des besetzen Hauses mit 1700 PolizistInnen (eine genaue Chronik der Räumung gibts auf LIV3) wurde nicht nur die Pizzeria berühmt, sondern auch offensichtlich mit welcher Härte die Staatsgewalt bereit ist Kapitalinteressen durchzusetzen. Als Monate davor, der Hauseigentümer versuchte den Eingang zuzumauern, standen einige wenige PolizistInnen ratlos daneben weil sie nicht sicher waren ob der Eigentümer die MieterInnen aus- bzw. einmauern darf oder nicht, erst nach vielen Stunden Überzeugungsarbeit sahen sie ein, dass dies illegal ist. Die ganze Geschichte wurde nun dankenswerterweise von den KollegInnen von WienTV.org in einer ausführlichen Doku “Pizzabrot statt Wohnungsnot” samt Interviews nachgezeichnet: Sehenswert!

Von Istanbul nach Rio

Der Kampf gegen Getrifizierung ist wie bereits erwähnt weder ein neues noch ein österreichisches Phänomen, sondern vielmehr eine globale Notwendigkeit. Denn in noch viel massiverer Intensität und mit unglaublicher Brutalität werden für Staudämme, sportliche Großereignisse, Autobahnen, Bahnhöfe und Einkaufszentren sowie der Verdrängung von shanty towns um lukrative Stadtteile komplett neu zu bauen, Leute aus ihren Vierteln und Häusern gedrängt, mit falschen Versprechungen oder purer Gewalt vertrieben. Im Zuge der Gezi-Proteste habe ich bereits einmal hier am Blog über den Zusammenhang dieser Sozialen Bewegung mit dem Kampf für das Right to the City geschrieben. Dabei habe ich auf den sehr eindrucksvollen Film “Ekümenopolis” hingewiesen, der die massive autoritäre Transformation Istanbuls an verschiedenen Beispielen nachzeichnet. Gestärkt durch die Gezi-Bewegung gibt es aber auch organisierten Widerstand gegen diese Praktiken, Widerstand, über den Vice — reisserisch wie immer, aber dennoch informativ — eine kurze Doku gemacht hat:

Unsere Städte verändern sich momentan rasant, massiv und nachhaltig. Dabei gilt es große Aufmerksamkeit auf diese Transformationen, sei es bei Großprojekten oder sei es beim Wirken der angeblich unsichtbaren Hand des vermeintlich “freien” Wohnungsmarktes, zu legen. Denn die Veränderung unserer Städte ist nicht bloß Stadtpolitik und Marktwirken, sondern betrifft uns und unsere Gemeinschaft, unser Zusammenleben in diesen Städten ganz direkt und alltäglich. Nicht zuletzt deshalb müssen wir aktiv eingreifen in diese Transformationen, denn diese wichtigen Veränderungen dürfen nicht nur denen überlassen werden, die es sich leisten können mitzumischen. 

The question of what kind of city we want cannot be divorced from that of what kind of social ties, relationship to nature, lifestyles, technologies and aesthetic values we desire. The right to the city is far more than the individual liberty to access urban resources: it is a right to change ourselves by changing the city. It is, moreover, a common rather than an individual right since this transformation inevitably depends upon the exercise of a collective power to reshape the processes of urbanization. The freedom to make and remake our cities and ourselves is, I want to argue, one of the most precious yet most neglected of our human rights. (David Harvey)

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