Zukunftsgeschichten: Inspirationen aus der Popkultur oder wie das Virus denken

Dieser Beitrag ist Teil der Coronavirus und die Philosophie Serie. Einen Überblick über die weiteren Teile dieser Blogbeitragsserie gibt es hier.

Leere Straßen und Stadtzentren, Menschen mit Gesichtsmasken, ein Virus, das nach und nach die ganze Welt erfasst und die politischen, sozialen, ökonomischen, ökologischen, wissenschaftlichen, psychologischen und kulturellen Aspekte dominiert. Wer fühlt sich hier nicht an die apokalyptischen Science Fiction und Horror Filme der letzten Jahrzehnte erinnert. Der Untergang einer Welt wie wir sie kennen durch einen Virus ist ein Hauptmotiv des gerade in den letzten Jahren enorm populären Zombie-Genres. Doch weit über dieses Genre hinaus hat sich insbesondere die Science Fiction und Horror Kultur mit Szenarien, ähnlich zu unserer jetzigen Situation, auseinandergesetzt.

Nachdem schon zu viele Menschen in den letzten Wochen Albert Camus Die Pest ‚zitiert‘ haben oder teilweise auch wirklich gelesen haben, bleibt die Frage welche Werke der Science Fiction Genres besonders in einer Situation wie der jetzigen von Interesse sind. Damit ist nicht nur gemeint diese Situation beschreiben, sondern tatsächlich auch zum Denken anregen und damit einerseits die Kritik der bestehenden Verhältnisse befördern oder/und die an anderer Stelle beschriebenen Aufrufe zur Imagination eines Neuen anleiten und initiieren könnten. Im Folgenden versammle ich daher einige Ausschnitte aus theoretischen Texten, in denen sich die Autor*innen von bestimmten Werke der Science Fiction oder Horror-Kultur inspiriert fühlen.

JG Ballards Welt

Mark O Connell- Why we are living in JG Ballard’s world (New Statesman – 1.4.2020)

Mark O’Connell fühlt sich in seinem Anfang April im New Statesman veröffentlichen Text momentan vor allem an die Welt des britischen Science Fiction Autors JG Ballard erinnert. Ballards Romane und Kurzgeschichten sind vor allem im englischsprachigen Raum höchst populär und haben nicht zuletzt in den letzten Jahren eine neue Renaissance erfahren, die sich nicht nur in populären Neuauflagen seiner Bücher sondern auch mehr oder weniger erfolgreichen Verfilmungen einiger seiner Texte zeigt. Vor allem von den 60ern bis zu den 80ern war er einer der beliebtesten Science Fiction Autoren und beeinflusste dabei auch zahlreiche Theoretiker*innen. So referenzierte z.B. Jean Baudrillard des Öfteren auf Ballards Werke. In den letzten Jahren hat auch die philosophische Rezeption Ballards wieder massiven Aufwind bekommen, so spielt Ballards Werk z.B. in den Arbeiten des Kulturtheoretikers Mark Fisher eine wichtige Rolle. Daran anschließend erfreut sich Ballard vor allem unter Akzelerationist*innen und dem Speculative Realism großer Beliebtheit.

Es ist wohl Ballards eher pessimistische, nahezu apokalyptische Stimmung, die zu dieser Renaissance führte und seine Arbeiten gerade heute wieder so relevant erscheinen lässt. Er schrieb Bücher in denen die Welt aufgrund von Klimaveränderung untergeht, Menschen in Wohnungen eines Wolkenkratzers Kleinkriege beginnen oder eine Robinsonade auf einer Verkehrsinsel unter einem Highway. Zwischen Absurdität und Apokalypse ist Ballard vor allem ein scharfer Kritiker bestimmter Entwicklungen westlicher Gesellschaften. Dabei spricht Ballard natürlich auch zur jetzigen Situation der globalen Pandemie. O’Connell dazu:

His 1977 story “The Intensive Care Unit” takes place in a world where humans live their entire lives in contented isolation, interacting with others, even their own immediate families, solely via cameras and screens. It delineates a way of life that is both intolerable to consider and uncomfortably close to our present reality.

So faszinierend Ballards Welten für manche sein mögen so abschreckend sind sie. Ballard dient damit vor allem, als Beispiel wie es eben nicht passieren soll, als Mahnung, als den Weg den „wir“ nicht einschlagen sollten, wie „wir“ nicht leben sollten, nicht zuletzt einer der Gründe warum gerade Baudrillard so fasziniert von Ballard war. Auch O’Connell formuliert ähnliches in seinem Text:

What the coronavirus pandemic has demonstrated is that we don’t want to be isolated, communicating only at a technological remove. Suddenly thrust into this state of Ballardian suspension, what most of us want, most of the time, is to be out there, in the world of friends and strangers, together. Right now, we all live in Ballard’s world, but we are not all Ballard’s people.

Wie sich eine ballardsche Welt jedoch verhindern lässt, dies wird sich schwer in Ballard finden lassen. Seine eher pessimistischen Texte mit nahezu stoisch untätigen Charakteren und ausweglos absurden Situationen sind nicht Werke, die eine neue Welt und eine Handlungsperspektive aufwerfen, sondern mehr Mahnungen bestimmter Tendenzen. Ob Ballard also in der jetzigen Situation die richtige Lektüre ist, sei dahingestellt.

Der Virus als unsichtbares Ding aus dieser Welt

John Carpenter — The Thing

Franco ‚Bifo‘ Berardi – Coronatagebücher (Verso Blog — 6. April 2020)

Über Franco ‚Bifo‘ Berardis aphoristische Tagebucheinträge zum Leben und Denken in der Pandemie habe ich bereits zwei Beiträge verfasst (hier: Teil 1 und Teil 2). Im zweiten Teil seiner Tageseinträge schreibt Bifo von einer Nachricht, die er von einem befreundeten Filmwissenschaftler bekam, der über John Carpenters Kultklassiker Das Ding aus einer anderen Welt (The Thing, 1982) schreibt, und die jetzige Situation mit der Situation der Protagonisten im Film vergleicht. Bifo dazu:

20. März: At night, they host a small cineforum, and a few nights ago they watched The Thing by John Carpenter, a film that makes so much sense in this moment. […] Amador writes “The Thing triggers some thoughts. We must think of the epidemic as an interruption. An interruption of stereotypes’ automatism, and of what we take for granted: health, the health system, cities, food, the ties and concerns of every day must be rethought from scratch.” When the quarantine ends—if it does and it is not sure that it will—we will be devoid of rules, but also devoid of automatism. Humans will then regain a role that is certainly not dominant in respect to chance—as the virus teaches us human will has never been decisive—yet significant. We will get the chance to rewrite the rules and break any automatism. But it is good to know, this won’t happen peacefully.

Die vermeintliche Unsichtbarkeit eines Befalles, weil die die das Ding befällt, vorerst als Kopien ihrer selbst ihre eigene Authentizität simulieren, diese Situation mag durchaus momentan Resonanz finden. Der Virus ist zwar keinesfalls das Produkt eines Body-Horror-Masterminds, aber die Projektion auf den oder die andere*n als potentiellen und ansteckenden Träger des Virus, also als Gefahr, das spielt Das Ding in seinem klaustrophobischen Setting im kleinen Maßstab durch. Auch die Frage der Ansteckung und der weltweiten Verbreitung wird thematisiert und auch die momentan so zentrale Frage der Testung treibt die Betroffenen im Film besonders an, wie an dem hier ausgewählten Ausschnitt zu sehen ist. Vorsicht, der Filmausschnitt ist brutal und gory, also lieber nicht anschauen wenn man so etwas, gerade in der momentanen Situation nicht sehen möchte.

Die Saat des Wandels

Octavia Butler – Earthseed Reihe

Mahan Moalemi – Letters against separation (e‑flux - 3.April 2020)

Mahan Moalemi ein Kurator und Theoretiker, der unter anderem das hervorragende und sehr empfehlenswerte Buch Ethnofuturismen bei Merve mitherausgegeben hat, hat sich in seinem sehr persönlichen Text mit dem Coronavirus, dessen Auswirkungen auf seine spezielle Situation (als visiting artist mit nun verlängertem Visum aufgrund der Reiseeinschränkungen) und der so wichtigen Arbeit der Science Fiction Pionierin Octavia Butler beschäftigt. Moalemis Text ist allgemein lesenswert, ich möchte jedoch vor allem seine Gedanken zu Butlers Earthseed Reihe hervorheben.

In Butlers unvollendeter Trilogie beschreibt sie eine post-apokalyptische Welt, in der Ressourcenknappheit, Rassismus und Abschottung in Kleingruppen das Leben bestimmt. Die Protagonistin des ersten Teils Parables of a Sower glaubt dabei an eine Möglichkeit eines Weiterlebens der Menschheit auf einem neuen Planeten. Eine wichtige Rolle spielt dabei Earthseed, die fiktive Religion deren Hauptdogma „God is Change“ ist. Das zentrale Dogma der Religion fasst Butler in ihrem Roman folgendermaßen zusammen:

Consider: Whether you’re a human being, an insect, a microbe, or a stone, this verse is true.
All that you touch
You Change.

All that you Change
Changes you.

The only lasting truth
Is Change.

God
Is Change.

Mehr Ausschnitte aus den fiktiven Religionstexten gibt es hier zu lesen

Es ist dieser postapokalyptische Roman den Moalemi zum Anlass nimmt, um über die Notwendigkeit des Schreibens nachzudenken und über die aktuelle Situation. Butlers Werk liefert jedoch eben nicht nur die Beschreibung einer zerstörten, ungerechten Welt, sondern auch immer den Samen für etwas Neues, etwas Anderes und Gerechteres, und damit helfen ihre Werke an der Imagination dieses Neuen mitzuarbeiten. Darum ist Butlers Werk nicht nur in afrofuturistischen Diskursen so relevant. Moalemi zu den Parallelen der jetzigen Situation und Butlers Roman:

My writing is a way for me to remind myself that I am human,” Olamina writes in her notebook and Butler in her book, “that God is Change, and that I will escape this place. As irrational as the feeling may be, my writing still comforts me.” To put it shortly, the banality of evil reigns in Olamina’s times, the world is falling apart, life is excruciatingly hard, if possible at all, and there is almost no time for writing. Her times yet uncannily resonate with ours – when living by way of hustling, like a “scavenger” on the road, is an all too common fact of life, for multiple reasons, ranging from economic to environmental. But invoking the irrationality of her humanness (and, inversely, reckoning with the “inhuman within”) she creates Time, not only in the sense of the time in which writing takes place, but also the time that follows the process of writing – proleptic invocations. While Change is the only lasting truth, to write and to keep writing is to remind oneself of one’s Survival. In fact, Change and Survival are two sides of the same coin, one which Olamina trades for the Future, and the trade constitutes Time. “God is Trickster, Teacher, Chaos, Clay.” The fact that she keeps writing is a condition of possibility for Earthseed, and for the Earthseed series, in the particular way that Butler merges her book and its readers with Olamina’s notebooks and her followers. To write, for Olamina, is to create Time, to take part in the future of all that changes and all that survives.

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